Wo ist aber der Dichter dieser Lieder, von denen wir etliche an uns haben vorüberziehen lassen, zu suchen? Über seine Tätigkeit in Berlin ist uns nichts überliefert. Wir könnten uns aber denken, daß er wie so mancher der gealterten Kandidaten, die damals ohne Stellung waren, auf den Kanzeln da und dort als Hilfsprediger aushalf. Bis endlich ein Ruf auf eine Pfarrstelle an ihn kommt. In der nahe — drei Meilen südlich — gelegenen Stadt Mittenwalde war die Stelle des ersten Geistlichen unbesetzt, Die Stelle des Propstes, des Präpositus, der über eine Reihe umliegender Dorfgemeinden und ihre Pfarrer gesetzt war und in Mittenwalde an der Kirche St. Moritz als Pfarrer zu wurken hatte. Die Mittenwalder suchten eine besonders tüchtige Persönlichkeit. Darum wamdten sie sich an das Geistliche Ministerium nach Berlin. Das Geistliche Ministerium schrieb nach Mittenwalde: “Wir sind hierüber einmütig zu Rat gegangen, wiewohl wider sein Wissen, welches wir daher auch für den aufrichtigsten Dienst halten, den Ehrenfesten Vorachtbaren und Wohlgelahrten Herrn Paulum Gerhardt, sanctae sacrae theologiae candidatum, welcher sich bei uns allhier in des Churf. Brandenburgischen Kammergerichts-Advocati, Herrn Andreas Bertholds Hause befindet, bestermaßen unseren Herren zu solchem Amte anzutragen, in der Versicherung, daß wir in diesem wohlgemeinten Vorschlag Ihrer Christlichen Gemeinde eine solche Person vorhalten, deren Fleiß bekannt, die eines guten Geistes und ungefälschter Lehren, dabei auch eines ehr- und friedliebenden Gemütes und christlich untadelhaften Lebens ist, daher auch er bei Hohen und Niedrigen unseres Ortes lieb und wert gehalten und von uns all Zeit das Zeugnis erhalten wird, daß er auf unser freundliches Ansinnen vielen Malen mit seinen von Gott empfangenen Gaben um unsere Kirche sich beliebt und wohl verdient gemacht hat!” Die Mittenwalder wählten ihn zu ihrem Propst: nach solchem Zeugnis durften sie in ihm den Mann erwarten, den sie suchten. Nun mußte Gerhardt eine Amtsprüfung bestehen. Die Pröpste von Berlin und Cölln (das damals noch von Berlin getrennt war) bestellten den Kandidaten in die Bibliothek von St. Nikolai in Berlin; sie haben ihn wohl nicht allzu hart “angefochten”, denn sie kannten ihn zur Genüge. Nur eines wurde von ihm verlangt: Unbedingtes, nie wankendes Bekenntnis zu den Symbolen der lutherischen Kirche. Da lag ein Schriftstück vor ihm, dessen Unterschrift von ihm gefordert wurde. Als Gerhardt Die Feder in die Hand Nahm und mit Festem Strich seinen Namen unter dies Gelöbnis setzte “am Tage meiner Ordination, den 18. November 1651″, tat er es mit Freuden. Und mit dem unbedingten Willen, davon nicht abzulassen und koste es Kopf und Kragen. Diese Stunde mit ihrem heiligen Ernst hat dem Mann in seinen späteren Kämpfen die unerschütterliche Standhaftigkeit gegeben, um derentwillen wir ihn heute noch mit Ehrfurcht betrachten. Es war die Stunde eines Eides, den er nie zu brechen entschlossen war. Er hielt daran, als viele andere wankten. So zog er denn nach Mittenwalde. Noch heute liegt dort das Kirchenbuch, in das der neue Pfarrer im Januar 1652 seine erste Eintragung gemacht hat. “im Namen der heiligen Dreieinigkeit unter meiner Amtsführung. Paulus Gerhardt, Propst zu Mittenwalde, im Jahre des Heils 1652!” Ein schweres Amt! Das arme Städtchen hatte Unsägliches erlitten in dem Krieg. Gegen Kriegsende waren von rund tausend Bauern im Umkreis der Stadt nur noch etwa zweihundertfünzig übriggeblieben. Wie sollten die verarmten Bauern, Handwerker und Tagelöhner das geringe Einkommen aufbringen, dessen der Pfarrer zum Leben bedurfte? Bargeld hatte ein Pfarrer wenig. Er war auf den Zehnten angewiesen. Holz, Frucht, Wein, der “Blutzehnte” — das zehnte Junge aus dem Stall — daraus bestanden die Einkünfte des Pfarrers. Er hatte dann noch seine Pfarräcker und Pfarrwiesen, die er meist selbst bewirtschaftete. Aber wie sollen die Bauern den Zehnten liefern, wenn sie selbst kaum Brot hatten für ihre Kinder? Der Propst von Mittenwalde begann seine Arbeit. An seiner Kanzel standen Verse, die mahnten, die Predigt nicht zu verachten, sie sei wohl eines armseligen Menschen Rede, aber doch ein mächtiges Herrenwort. Wie er wohl gepredigt hat? Es ist schade, da? uns Keine einzige Predigtniederschrift erhalten ist. Es mag wohl an den großen Schwierigkeiten und den unsicheren Verhältnissen des ersten Einleben in das neue Pfarramt gelegen haben, daß Gerhardt drei Jahre lang unvermählt lebte. Aber schließlich wurde ihm geschenkt, wonach sein Herz gewiß seit langen Jahren verlangt hatte. In dem Hause des Kammergerichtsadvokaten Berthold lebte die jüngste Tochter Anna Maria, noch unvermählt. Nach der damaligen Sitte warb er nicht selbst um sie, sondern ließ durch einen Freund bei ihrem Vater um sie werben. Am 11. Februar 1655 wurde er in dem Bertholdschen Hause durch Propst Vehr getraut. Er war 48 Jahre alt, sie 32. Ein Stück von der Tragik, die über den “Studierten” jener schweren Zeit lag, daß sie ihr Hauswesen erst gründen konnten, wenn der Scheitelpunkt des Lebens längst überschritten war. Ob nicht jetzt die Verse seiner “Oda” (Der aller Herz und Willen lenkt), die er dem Schwager Fromm gedichtet hatte, in neuer Schönheit vor ihm aufblühten?
Die Bäumlein, die man fort gesetzt
in wohlbestellten Garten,
die pfleget man zuerst und letzt
vor allen wohl zu warten.
Ihr Bäumlein Gottes, freuet euch,
der Gärtner ist von Liebe reich,
der sich euch heut erwählet.
Was er gepflanzt mit seiner Hand,
hält er in großen Ehren.
Sein Sinn und Aug´ist stets gewandt,
dasselbe zu vermehren,
kommt oft und sieht aus reiner Treu,
was seines Gartens Zustand sei,
was seine Reislein machen.
Und wenn denn unterweilen will
ein rauhes Lüftlein wehen,
ist er bald da, setzt Maß und Ziel,
läßt´s eilends übergehen.
Wenn er betrübt, ist gut gemeint,
er stellt sich hart und ist doch Freund
voll süßer Huld und Gnade.
O selig, der, wenn´s Gott gefällt,
ein Wölklein einzuführen,
ein treues, fröhlich Herz behält,
läßt keinen Unmut spüren.
Ein Wölklein geht ja bald vorbei;
es währt ein Stündlein oder zwei,
so kommt die Sonne wieder.
So gehet nun mit Freuden ein
zu eurem Stand und Orden:
der Weg wird ohne Schaden sein,
der euch gezeiget worden.
Es geht ein Englein vornen an,
und wo es geht, bestreut´s die Bahn
mit Rosen und Violen.
So hatte er einst über ein glückliches Paar gesungen und über die Pforte ihres Hauses ein Blumengewinde gebunden. Jetzt mußte dies Lied in seiner eigenen Seele klingen. Wer einen Blick tun dürfte in jene Tage! Sie haben, wie überall es geht, nicht bloß von Rosen und Violen zu sagen gewußt, sondern von “rauhen Lüftchen” und von manchem Wölkchen. Eine alte Geschichte berichtet von schweren Sorgentagen, in denen nicht einmal mehr ein Stäublein Mehl im Kasten und keine Rinde Brot mehr ein Schrank gewessen sei. Da sei die Pröpstin mit Bangen zu ihrem Gatten gekommen: “Gib mir nur einen Groschen, daß ich das Allernötigste kaufen kann. Sonst kann ich dir heute nicht einmal den Tisch zu Mittag decken!” Aber nicht ein Kreuzer fand sich. Der Treue tröstete: “Ich will dir eine Speise besorgen, die nicht vergeht.” Setzte sich in sein Gartenhaus und schrieb das Lied Befiehl du deine Wege. Schnell genug idt ein schwerer Schatten über das junge Glück gefallen. Anna Maria wurde an ihrem eigenen Geburtstag, dem 19. Mai 1656, ein Töchterlein geschenkt. Aber es ist den Eltern nicht lange geblieben. Ein halbes Jahr später, am 28. Januar 1657, ist das Kind in der Kirche zu Mittenwalde begraben worden. Damals mag Paul Gerhardts Glaubenskraft die niedergebeugte Gattin aufgerichtet haben:
. . . das, was wir beweinen,
weiß hievon ganz lauter nichts,
sondern sieht die Sonne scheinen
und den Glanz des ewigen Lichts,
singt und springt und hört die Scharen,
die hier seine Wächter waren.